Die erste urkundliche Erwähnung Geroldshausens geht auf das Jahr 1252 zurück.
1345 verkauften Kraft von Hohenlohe und seine Frau Anna dem Hochstift Würzburg die Stadt und die Burg Röttingen, die Vesten Ingolstadt und Reichenberg sowie die Dörfer Hattenhusen und Geroldshausen, weil sie u.a. in Geroldshausen „Schulden bei Christen und Juden“ hatten, die aus dem Verkaufserlös beglichen wurden.
Jüdisches Leben in Geroldshausen ist seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bezeugt, wahrscheinlich aber sehr viel älteren Datums und begann vermutlich wie in anderen fränkischen Landgemeinden zweihundert Jahre früher. Damals plünderten die Kreuzfahrer die jüdischen Gemeinden in den Städten längs der Heerstraßen erst aus, um sie danach zu vertreiben. Bis dahin lebten Juden meist in Städten, ab dann begann das fränkische Landjudentum. Juden galten als Landfremde, hatten kein Niederlassungs- und Bürgerrecht, sondern mussten gegen hohe jährliche Schutzgeldzahlungen eine befristete und personenbezoge Aufenthaltsgenehmigung erwerben.
Über 600 Jahre lang wohnten also in Geroldshausen jüdische Mitbürger.
Genaue Zahlen gibt es erst aus jüngerer Zeit. Bei der Volkszählung
1813 waren in Geroldshausen von 244 Einwohnern 51 jüdischen Glaubens (11 Familien), das waren 21%.
1817: von 233 Einwohnern 74 jüdischen Glaubens . Dies war der Höchststand von 31% neben 50 % Protestanten und 19 % Katholiken.
1867: 335 Einwohner, 35 jüdischen Glaubens
1890: 335 Einwohner, 28 jüdischen Glaubens
1900: 337 Einwohner, 17 jüdischen Glaubens
1910: 374 Einwohner, 12 jüdischen Glaubens
1925: 425 Einwohner, 12 jüdischen Glaubens
1933: 484 Einwohner, 9 jüdischen Glaubens.
Der Grund für den zeitweise großen jüdischen Bevölkerungsanteil lässt sich heute nicht mehr genau ermitteln. Sicher spielte aber die geographische Lage eine Rolle. Denn durch das Maintal zogen zu dieser Zeit viele Juden aus Ostpolen und Russland in Richtung Westen, die nach blutigen Pogromen aus ihrer Heimat geflohen waren. Vermutlich war es dann sowohl dem Reichtum dieser auf ertragreichen Böden gelegenen Ortschaften wie ihrer gemischtherrschaftlichen Struktur zuzuschreiben, dass jüdische Familien gerade in ihnen vergleichsweise gute Existenzmöglichkeiten vorfanden.
Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war in Geroldshausen auf dem Gelände des Ritterschaftlichen „Judenhofes“ eine als „alte Schul“ bezeichnete Synagoge erbaut worden. Bis 1817 wurden die jüdischen Kinder des Ortes hier separat unterrichtet. Erst 1817 wurde die Gemeindeschule für jüdische Kinder geöffnet.
Der „Viehhändler und Wechseljud“ Elias Löw besaß z.B. in der Hauptstraße das zur damaligen Zeit ansehnlichste Anwesen. (Heute das Haus Hauptstraße 7 .) Ihm wurde 1746 als „bischöflicher Schutzjude“ das Niederlassungsrecht im Ort zugesprochen. Diese Familie hatte 1817 den Namen Neumann angenommen. Sie stellt 1840 mit Abraham Neumann einen angesehenen Rabbiner und gab 1842 eine erhebliche Geldsumme für den Bau einer neuen Synagoge, ebenfalls im „Judenhof“. Dieses Gebäude steht noch heute (Hauptstraße 20) und wurde nach dem Krieg als Wohnhaus umgebaut. 1898 zog die Familie Neumann, die bis dahin zu den Wohlhabendsten im Dorf gezählt hatte, aus Geroldshausen weg.
Bis 1816 war nur das Wohnrecht für Juden erlaubt. Ab 1816 durften Juden auch Haus- und Grundbesitz erwerben. Die Fluktuation der jüdischen Mitbürger war wohl zeitweise relativ hoch.
Bäuerliche Anwesen in jüdischem Besitz:
1933 lebten 484 Menschen in Geroldshausen, darunter folgende Juden:
Jakob und Jeanette Ackermann (Bauern)
Salomon und Therese Bierig (Schuh- und Kolonialwarenladen in der Kirchgasse)
Abraham und Emma Maier (Abraham Maier starb 1940 in Geroldshausen)
Jakob und Mina Maier und ihre Kinder Bella und Heinz. Jakob Maier war Metzger und Viehhändler und Vorstand der örtlichen Kultusgemeinde. Die Familie Maier konnte 1941 über Lissabon nach New York auswandern. Mit ihrem Wegzug erlischt das jüdische Leben in Geroldshausen. Heinz Maier kehrte als Soldat der US-Army bei Kriegsende nochmal nach Geroldshausen zurück.
Siegfried und Therese Friedlein. Sie wurden ebenfalls Opfer der Shoah. Ihr Sohn war ein Schulkamerad Eduard Wirths, des in das KZ Auschwitz kommandierten Arztes.
1939 musste das Ehepaar Bierig ihren kleinen Laden in der Kirchgasse schließen, da sie keinerlei Einkünfte mehr erzielten. Sie lebten eine kleine Weile von ihren Ersparnissen, danach wurden sie von den wohlhabenden Maiers unterstützt so gut es ging. Ihr Garten wurde zwangsverkauft. Auch die christlichen Nachbarn waren sehr hilfsbereit, sie halfen heimlich u.a. mit Milch und Mehl aus.
Heinz Maier berichtete Anfang der 50er Jahre, dass es in Geroldshausen keine Gewalt gegen Juden gegeben habe. (Anders als z.B. in Giebelstadt, Heidingsfeld und Gaukönigshofen, wo die Juden in der NS-Zeit schwer verfolgt wurden.) In Geroldshausen sei keiner geschlagen oder angepöbelt worden,… Keinem wurde von den Nachbarn etwas weggenommen. Jeder hat seine Sache gemacht und den Anderen in Ruhe gelassen.
Und doch hatte sich das Verhalten der Menschen langsam verändert, nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren. Die jüdischen Familien wurden vorsichtig, haben sich in ihre Häuser zurückgezogen. Nichtjüdische Nachbarn wurden auf der Straße nicht mehr angesprochen, aus Vorsicht. Wenn einer das Haus verließ, tat er dies mit einem bangen Gefühl, was ihm an Unangenehmem widerfahren könne – und dieses Gefühl teilte er mit denen, die im Haus zurückblieben und jeweils voller Unruhe auf die Heimkehr des Familienmitgliedes wartete.
Auch in der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 blieb in Geroldshausen alles ruhig. Weder wurden in den „Judenhäusern“ Fenster eingeworfen noch zogen randalierende Kerle durchs Dorf. Auch an der Synagoge hat sich keiner vergriffen.
Am nächsten Tag versammelten sich viele Geroldshäuser vor dem Rathaus und besprachen untereinander, was sie als Nachricht aus dem Radio erfahren hatten. Die Juden haben sich nicht aus dem Haus getraut. Aber die Bierigs, die in der Kirchgasse wohnten, konnten hinter den Vorhängen beobachten, wie erregt die Geroldshäuser vor dem Rathaus standen. August Pfeuffer, der Bürgermeister, hat an sie eine Ansprache gehalten und scheint sie dabei zur Ruhe aufgefordert zu haben.
Karoline Solinger und die Eheleute Bierig waren die letzten in Geroldshausen verbliebenen Juden. Sie zählten zu den 852 unterfränkischen Juden, die sich am 24. April 1942 in Würzburg im „Saalbau Platz´scher Garten“ einfinden mussten, von wo aus sie am späten Vormittag des 25. April in langer Kolonne zum Bahnhof Aumühle marschierten. Sie wurden nach Lublin deportiert, dort verliert sich ihre Spur. Wahrscheinlich wurden sie im Lager Majdanek oder Belzec vergast.
Bei der Deportation am 10. September 42 waren dabei: Jakob und Jeanette Ackermann, Emma Mayer, Sofie und Regina Strauß geb. Solinger. Sie wurden im KZ Theresienstadt ermordet. Zum Zeitpunkt ihrer Deportation hatten sie ihren Wohnsitz nicht mehr in Geroldshausen.
Die am 3. Juli 1920 in Geroldshausen geborene Sintizza Paula Spindler und ihre Tochter Blanka Louise, die am 13. Jan. 1940 zur Welt gekommen war, wurden am 13. März 1943 nach Oberschlesien in das soeben errichtete „Zigeunerlager“ im KZ Auschwitz deportiert. Ihr Transport, insgesamt siebenhundertdreizehn Frauen und Mädchen sowie sechshundertvierzig Männer und Jungen, war einer der ersten, der in Ausschwitz Birkenau eintraf, dem größten Konzentrationslager und Vernichtungslager während der Nazi-Zeit. Die kleine Blanka Louise wurde am 3. August 1943, die Mutter am 20. Feb. 1944 getötet.
Quelle: Das Buch „Der Judenacker“ von Ulrich Völklein
Ulrich Völklein, Jahrgang 1949 war u. A. Redakteur bei der „ZEIT“ und ist heute freier Autor. Er lebt in Frankfurt/Main. Als er in den 1990 er Jahren einen Acker von seinen Vorfahren in Geroldshausen erbt, macht ihn die Bezeichnung „Judenacker“ stutzig. Er beginnt zu recherchieren. Er folgt der Spur in die Vergangenheit der Familie und eines jahrhundertelangen reichen jüdischen Lebens in Geroldshausen. 2001 erscheint als Ergebnis seiner Nachforschungen der Tatsachenroman „Der Judenacker“.